Bildung für nachhaltige Entwicklung –was hat denn das mit Justiz zu tun?
Dr. Ute Scholz, Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz, Kiel
Justiz, Recht – das ist nicht das Erste, das einem einfällt, wenn man sich mit den globalen Nachhaltigkeitszielen beschäftigt. Immerhin gibt es davon 17, mit denen weltweit solche wichtigen Dinge wie die Reduzierung von Armut, nachhaltiges Wirtschaften, Umweltschutz und vieles andere vorangetrieben – und bis 2030 umgesetzt – werden sollen. Und „natürlich“ fallen einem deshalb auch zuerst bezahlbare und saubere Energie, Bildung, die Beendigung von Hunger und die Bekämpfung des Klimawandels als mögliche Ziele ein.
Trotzdem: Als Ziel 16 ist der Zugang zur Justiz als Nachhaltigkeitsziel verankert: „Allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.“
Das klingt sperrig, meint aber nicht weniger als das, was wir hierzulande mit großer Selbstverständlichkeit genießen dürfen: unseren Rechtsstaat. Noch so ein sperriger Begriff. Doch dahinter verbergen sich Freiheiten und Sicherheiten, Werte und Strukturen, die junge Menschen in Deutschland gar nicht anders kennen – und die keineswegs selbstverständlich sind.
Der Rechtsstaat ist nicht selbstverständlich
Das macht schon ein Blick über unsere deutschen Landesgrenzen deutlich, wo sich einige europäische Regierungen wieder vermehrt und offen dranmachen, Justiz und Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, und dabei grundlegende Rechte von Minderheiten und der Opposition auf der Strecke bleiben. Auch in Deutschland gerät die Demokratie zunehmend unter Druck, wenn die Gesellschaft weiter auseinander zu driften scheint, wenn Rassismus auf den Straßen und Hate Speech im Internet massiv zunehmen.
Deshalb haben sich das Kieler Justizministerium, die schleswig-holsteinische Justiz, das Kieler Bildungsministerium und das Institut für Qualitätssicherung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) vor einem Jahr zusammengetan und das Projekt Recht.Staat.Bildung. ins Leben gerufen. Unter dem Motto Gemeinsam Rechtsstaatlichkeit vermitteln wollen wir den Rechtsstaat für Schülerinnen und Schüler mit Unterstützung der Justiz erlebbar machen, um nachhaltig für die Werte in unserem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat zu werben.
Leider hat die Corona-Pandemie die Umsetzung des Projekts zwischenzeitlich erschwert. Dabei hat die Pandemie deutlich gezeigt, wie gut unser Rechtsstaat auch in der Krise funktioniert: Verwaltungsgerichte haben pandemiebedingte Beschränkungen überprüft; sie haben sie in Einzelfällen auch korrigiert. Die Parlamente haben auf ihrer Kontrollfunktion bestanden. Damit wurde nebenbei das 16. globale Nachhaltigkeitsziel „Starke und transparente Institutionen fördern“ umgesetzt. Das alles ist nicht selbstverständlich, denn dieser Rechtsstaat kann nur Bestand haben, wenn wir uns alle für ihn stark machen.
Mit dem Projekt Recht.Staat.Bildung. sollen Schülerinnen und Schüler aller Schularten deshalb eingeladen werden, mit Experten über rechtliche Alltagsfälle und Fragen zu unterschiedlichen Rechtsgebieten zu diskutieren. Wer könnte besser Recht und Rechtsstaatlichkeit vermitteln als unsere Richterinnen, Richter, Staatanwältinnen und Staatsanwälte?
Das Angebot richtet sich vornehmlich an die Klassen 9 und 10, es ist aber auch für die Sekundarstufe II offen. Inhaltlich soll es nicht um Rechtskundeunterricht gehen. Stattdessen wird – ausgehend von einer konkreten und reizvollen Fragestellung, die vorab gemeinsam zwischen der Lehrkraft, der Klasse und den Experten individuell abgestimmt ist – praxisnah vermittelt, was unseren Rechtsstaat ausmacht und warum rechtsstaatliche Grundsätze unverzichtbar sind.
Dem Rechtsstaat ein Gesicht geben
Dafür kommen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in die Schulen. Über 80 Juristinnen und Juristen aller Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften haben sich landesweit dazu bereit erklärt. Sie können von interessierten Lehrerinnen und Lehrern primär aus den Fachrichtungen Weltkunde oder WiPo in eine passende Unterrichteinheit einbezogen werden. Gemeinsam werden dann z.B. Diskussionen vorbereitet und geführt, in denen die Juristinnen und Juristen etwa durch die Formulierung alternativer Standpunkte oder anhand von Berichten aus dem Berufsalltag zusätzliche Impulse geben und den Wert des Rechtsstaats erlebbar machen können. Auch Rollenspiele oder begleitete Besuche einer Gerichtsverhandlung sind vorgesehen. Die Themenvielfalt ist riesig: Angefangen bei den jüngsten Einschränkungen unserer selbstverständlichen Freiheitsrechte während der Corona-Pandemie, Postings in Whatsapp-Schülergruppen, Fragen nach dem „richtigen“ Strafmaß oder der Unabhängigkeit der Justiz, … Überall, wo sich ein Team zusammenfindet, um die Idee des Projekts aufzugreifen und umzusetzen, kann das Angebot stattfinden.